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Nigel McGuinness: Auf Umwegen zur Sternstunde

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Published on:
11.10.2007, 00:00 
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Vor 15 Jahren besiegte der British Bulldog im Main Event des Summer Slam 1992 im ausverkauften Londoner Wembley-Stadion seinen Schwager Bret Hart um den WWF Intercontinental Title. Einer der über 80.000 Fans, die dem Lokalmatador damals zujubelten, war ein 15-jähriger Junge mit Ultimate-Warrior-Bemalung. Eineinhalb Jahrzehnte später hat dieser Teenager nun für die größte Sternstunde gesorgt, die ein britischer Athlet im US-Wrestling seitdem erleben durfte. Nigel McGuinness besiegte den monströsen Japaner Takeshi Morishima und ist nun World Champion von Ring of Honor.

Zwischen dem ersten und dem bis jetzt letzten prägendem Moment des Wrestlers Nigel McGuinness stand für Nigel ein langer, steiniger Karriereweg, der auch nicht ohne Umwege auskam. War Nigel mit 15 noch voll davon überzeugt, Wrestler werden zu müssen, beschloss er nach dem Schulabschluss dann aber doch eine konventionellere Berufslaufbahn einzuschlagen. Er studierte Chemie und zog im Laufe seiner Hochschullaufbahn auch in die USA, um sein Studium an der Kent State University in Ohio abzuschließen.

Regal als Karriere-Helfer

Danach ließ sich Nigel dann aber doch auf das Wagnis Wrestlingkarriere ein und heuerte in der Trainingsschule von Les Thatcher Heartland Wrestling Association in Ohio an. Er erlernte also zuerst den nordamerikanischen Stil und nicht den aus seinem Heimatland. Die HWA blieb in den kommenden Jahren seine Heimatbasis, unterbrochen allerdings von einem erneuten England-Aufenthalt. Nigel hatte sich durch seine Wrestlinglaufbahn in Schulden gestürzt und nahm in seiner Heimat zwei Vollzeit-Jobs an, um Geld zu sammeln, dass er sich seine Passion wieder leisten konnte

McGuinness nutzte diese Zeit, um auch von britischen Veteranen wie Robbie Brookside zu lernen, richtig intensiv befasste er sich aber erst ab 2001 mit dem Wrestling aus seinem Heimatland. Anlass war eine Begegnung bei der von Thatcher organisierten Brian Pillman Memorial Show, in der McGuinness den Opener bestritt. Er kam dort in Kontakt mit WWE-Star William Regal und bat ihn um Tipps für die Karriere. Regal riet ihm darauf, viel mehr Elemente des britischen Stils anzueignen, um sich von der Masse der Indy-Worker abzuheben.

Nigel nahm es sich zu Herzen und legte sich eine Sammlung von Tapes britischer Stars wie Finlay, Marty Jones oder Johnny Saint zu – letzterer ist neben dem Achtziger-Rockstar Billy Idol Haupt-Inspirationsquell für Nigels Look und Auftreten. Von Les Kellet, einem Comedy-Wrestler aus der World-of-Sport-Ära schaute er sich seine spektakulärste Aktion ab: Den Rebound Lariat, bei dem er antäuscht, rückwärts aus dem Ring zu fallen, sich dann aber mit dem Füßen am oberen Seil abstützt, zurück in den Ring katapultiert und mit diesem Schwung den Gegner niederstreckt.

Ein Bügeleisen als Markenzeichen

Nigels Schwenk zum Brit-Stil machte sich bezahlt, denn nach eigener Schilderung wurde Ring Of Honor erst dadurch auf ihn aufmerksam. Anfang 2004 debütierte er, doch es dauerte eine Weile, bis die Fans mit ihm warm wurden. Nigel lieferte zwar von Anfang an technisch sauberes und sehenswertes Wrestling, aber gerade bei ROH tun das auch bei weitem nicht wenige andere. Nigel fehlte noch das nötige Profil für Höheres – oder wie er es drastischer ausdrückte: „Jemand hat mir gesagt, dass ich damals ziemlicher Mist war – und ich kann seinen Standpunkt nachvollziehen.“

Wie so oft in solchen Fällen wirkte ein Turn Wunder. Zum Markenzeichen des Heel-Nigels wurde seine Spezialwaffe, ein mit der Landesflagge verziertes Bügeleisen. Das begann er mit sich herumzutragen, nachdem seine Wohnung einmal überfallen wurde und er die Einbrecher mit dem Bügeleisen verjagte, da er sonst nichts zur Hand hatte. Das ist die zumindest die offizielle Version, in Wahrheit empfand er es einfach als pfiffige Idee, ein Bügeleisen als Foreign Object zu nutzen. Das Bügeleisen ging jedoch im Juni 2006 bei einem Match in Italien kaputt und wurde seitdem nicht mehr gesehen.

Der Heel-Nigel etablierte sich durch eine Fehde mit Colt Cabana beim Publikum, die in einem einzigartigen „Soccer Riot Match“ im August 2005 gipfelte, das Cabana für sich entschied. Nigel tat sich in dieser Auseinandersetzung aber so hervor, dass er gleich eine Woche später dem ROH-Aushängeschild Samoa Joe den Pure Title abnehmen durfte. Der Titel wurde zu einer weiteren Sprosse in Nigels Karriereleiter. Er verteidigte ihn – meist unfair, vor allem zweifelhaft errungene Count-Out-Siege waren seine Spezialität – fast ein Jahr lang, ehe der Titel mit dem ROH World Title vereinigt wurde. Bei ROH’s erstem Gastspiel in Nigels Heimat verlor er den Gürtel an den damaligen World Champion Bryan Danielson, gewann aber mit einem Irrsinns-Match (4 ¾-Sterne vom Wrestling Observer) aber endgültig die Herzen der Fans für sich. Besonders in Erinnerung blieb ein Spot in dem Match, bei dem Danielson Nigel mit den Armen um den Ringpfosten wickelte und ihn mit dem Gesicht voran viermal (!) ungebremst gegen das Metall zog.

Mainstream-Karriere bislang gescheitert

Das Match brachte Nigel eine komplett zugeschwollene Augenpartie und wochenlange Kopfschmerzen ein, aber es machte ihn praktisch über Nacht zum Top-Babyface der Liga. Es begeisterte wohl auch den letzten ROH-Fan, von der Intensität, der Präsenz und der wrestlerischen Klasse, die sich Nigel über die Jahre erarbeitet hat. Mit seinem Titelgewinn hat Nigel nun den Olymp der wichtigsten US-Indy-Liga erklommen – und damit seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Mit einer Karriere in den größeren Promotions hat es bislang noch nicht geklappt – dabei ist Nigel keiner der Indy-Wrestler, bei denen ihre Statur einer Mainstream-Laufbahn im Weg steht. Sowohl bei der WWE als auch TNA hat er schon Tryouts absolviert – und in eineinhalb Jahren, wenn sein ROH-Vertag ausläuft, sollte er bei seinen Leistungen auch wieder für beide zum Thema werden. 2005 stand Nigel schon einmal kurz davor, einen Development-Deal bei der WWE zu unterschreiben, ging er stattdessen auf seine erste Tour für die japanische NOAH-Liga – danach verflüchtigte sich der Kontakt zur McMahon-Company. Im Nachhinein ist Nigel aber auch ein wenig froh darüber: „Wäre ich vor ein paar Jahren dorthin gegangen, hätte ich mich nicht so verbessert, wie ich es bei ROH getan habe.“

Nigel wird generell nachdenklich, wenn er seine Wrestlingkarriere zurückblickt. Er hat sich mit seiner erfolgreichen Laufbahn zwar einen Traum erfüllt, meint aber auch: „In gewisser Weise ist es beinahe besser, einen Traum zu verfolgen als sich einen Traum zu erfüllen. Es steckt eine traurige Endgültigkeit, wenn man schließlich sagen kann: ‚Ich habe es geschafft.’“ Wohl auch deshalb sucht Nigel auch außerhalb des Wrestling Herausforderung. Er ist begeisterter Autor und hat schon einen Roman und ein Filmdrehbuch fertig geschrieben - sucht aber für seine Werke ein Verleger beziehungsweise einen Geldgeber. Die wenigsten Wrestlingfans werden sich aber wünschen, dass der Autor Nigel so bald den Durchbruch schafft – zu viel Freude macht er ihnen in seinem Hauptberuf.