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Mainstream Breakdown #18: Less Is More

Kolumne

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Veröffentlicht am:
16.01.2017, 19:30 Uhr
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Es gibt ein altes Sprichwort: "Weniger ist mehr." Man benutzt es zum Beispiel gerne bei Gewürzen im Essen, beim Konsum von Alkohol oder bei Make-Up im Gesicht einer Frau. Ein bisschen davon hilft oft, aber zu viel sorgt schließlich für ein Gefühl der Übersättigung bzw. dafür, dass der gewünschte Effekt nicht mehr erzielt wird.

Schlaue Leser werden wissen, worauf ich mit dieser ungewöhnlichen Einleitung hinaus will. Denn "weniger ist mehr" ist der vorherrschende Gedankengang, wenn ich aktuell an das Produkt World Wrestling Entertainment denke. Denn neben den bereits seit Jahren bekannten Formaten RAW, SmackDown und NXT bietet uns der Branchenprimus inzwischen auch noch 205Live und in Zukunft wohl ein wöchentliches Format aus Großbritannien. Summa summarum macht das rund sieben Stunden Wrestling pro Woche, Werbungen schon herausgerechnet und PPV's außer Acht gelassen. Nicht berücksichtigt ist dabei noch das Abfallprodukt WWE Main Event, das aber eh nur von den Hardcore-Fans verfolgt werden dürfte.

Sieben Stunden pro Woche. Bei rund 112 Wachstunden (ausgegangen wird exemplarisch mal von acht Stunden Schlaf pro Nacht) bedeutet das, dass wir 6,25% unserer Lebenszeit mit reinen Wrestling-Shows von WWE füllen können. Das klingt natürlich im ersten Moment nicht sehr viel. Aber man hat ja auch andere Sachen zu tun. Vor allem Schule und/oder Arbeit nehmen da schon ungeheuer viel Zeit weg. Dann kommen noch so Sachen wie Freundschaften, Partner/in sowie andere Hobbies dazu und schwupps-- sind von den 112 Stunden dann gar nicht mehr so viele übrig, um sich WWE-Inhalte reinzuziehen. Zumal die McMahon-Promotion sich da selbst ja noch Konkurrenz macht, denn das Network bietet mit Talking Smack, Table For Three, WWE24 und vielen anderen Formaten noch einiges an Stoff, den der gemeine Wrestling-Fan sich ebenfalls gerne angucken möchte. Nicht zuletzt, weil viele dieser Shows oft besser sind als RAW oder SmackDown. Und dabei habe ich noch gar nicht die "Mehrbelastung" erwähnt, die der Rostersplit mit sich bringt, da es nun ja an sieben Monaten im Jahr gleich zwei Großveranstaltungen gibt.

Und jetzt kommt die Krux: Es wird wohl nicht dabei bleiben. Glaubt man den einschlägigen Newsseiten, war das United Kingdom Championship Tournament am vergangenen Wochenende nicht das letzte dieser Art. WWE will expandieren, will neue Märkte erschließen und somit neue Inhalte für das Network gewinnen. Es ist also durchaus möglich, dass wir in drei Jahren (willkürliche Zahl meinerseits) noch regelmäßige Wochenshows aus Europa, Japan oder Mexiko bekommen werden. Greift darüber hinaus noch der Plan, einzelne nordamerikanische Independent-Ligen auf dem Network zu zeigen, können wir uns vor lauter (WWE-)Wrestling ja gar nicht mehr retten. Klar, auf dem Papier liest sich das alles natürlich gar nicht einmal schlecht. Schließlich haben das Cruiserweight Classic und das UK Championship Tournament für fast durchgängig positives Feedback gesorgt. Nicht zuletzt, weil in beiden Formaten klar die Handschrift eines gewissen Triple H zu erkennen ist, der schon mit NXT regelmäßig beweist, wie gut er die Bedürfnisse vieler, vor allem erwachsener, Fans doch kennt. Und da draußen gibt es sicherlich auch eine Menge Leute, die sich über mehr Wrestling freuen. Ich ja grundsätzlich auch.

Was mir jedoch noch wichtiger ist als mehr Wrestling ist gutes Wrestling. Wrestling, hinter das ich mich Woche für Woche klemmen kann. Wrestling, bei dem ich gerne einschalte. Doch momentan driftet das WWE-Produkt in eine Richtung, in der ich genau das vermisse. Dabei rede ich nicht einmal nur von RAW und vielleicht SmackDown. Klar, das sind womöglich die beiden schwächsten Weeklies respektive die, die man wohl nur aus Gewohnheit guckt. NXT ist qualitativ nicht weit darüber, zumindest die Wochenshow nicht, aber NXT geht eben auch nur eine Stunde lang. Allerdings muss ich für mich festhalten, dass mich 205Live bisher gar nicht fesseln konnte. Nüchtern betrachtet zeigt man dort zwar ordentliches Wrestling und nette kleine Stories, aber es ist bei weitem nicht so, dass ich mich auf diese Show freue.

Ähnlich ging es mir die letzten beiden Tage beim United Kingdom Championship Tournament. Ich muss zugeben, dass ich mir beide Shows nur angesehen habe, weil ich zuhause war und eh nichts Besseres lief. Und nach dem ersten Tag war ich doch ziemlich ernüchtert. Natürlich war das eine geile Location. Natürlich sieht der Titelgürtel, besonders für WWE-Standards, sehr cool aus. Und natürlich hat die ganze Präsentation, nämlich sehr auf den sportlichen Aspekt fokussiert (Stichwort: Time Limit), absolut gestimmt. Aber unterm Strich bekam ich acht bestenfalls durchschnittliche Erstrundenkämpfe serviert, die mir wenig Anlass gaben, am Sonntag noch einmal einzuschalten. Nun habe ich das letzten Endes doch gemacht, weil mich der Ausgang irgendwie interessierte und ich darüber hinaus auch die Ergebnisse des Turnieres zeitnah in unsere Datenbank eintragen wollte. Am Ende war ich mit dem Finaltag dann jedoch absolut zufrieden, denn es gab nicht ein schlechtes und sogar zwei sehr gute Matches, phantastisches Storytelling und mit Tyler Bate einen verdienten Sieger.

Jetzt können Spötter natürlich sagen: "Was regst du dich denn so über die vielen Inhalte auf, wenn du es am Ende doch guckst?" Zugegeben, ein berechtigter Einwand. Neben meiner Arbeit hier bei CAGEMATCH war wohl vor allem meine Neugier die treibende Kraft hinter meinem Interesse an den beiden Shows. Eine Neugier, die sich weiter fortsetzt, denn es stellt sich jetzt, nach dem Turnier, die Frage: Wie geht es weiter? Tyler Bate ist nun United Kingdom Champion. Joa.. und nun? Bekommt er einen WWE-Vertrag? Wenn ja, wie sieht der aus? Was ist mit anderen Leuten wie Pete Dunne, Mark Andrews oder Trent Seven? Wann, wo und in welchem Format soll Bate den Gürtel eigentlich verteidigen? Fragen über Fragen, auf die man noch keine konkrete Antwort weiß. Und da fragt man sich: wissen Triple H und William Regal eigentlich selbst, wie sie mit diesem Projekt weiter verfahren sollen? Wenn ja, warum haben sie es noch nicht verraten? Wenn nein, warum haben sie dann überhaupt einen Champion gekrönt? So richtig weiß ich nicht, was ich nun mit all dem anfangen soll, gleichwohl es klare Tendenzen hin zu einer neuen Show gibt.

Ein Nebeneffekt all dieser neuen Formate ist leider, dass Wrestler so praktisch kategorisiert werden. Bist du Engländer? Dann müsstest du eigentlich in Großbritannien auftreten. Wiegst du weniger als 205 Pfund? Dann ist 205Live deine Heimat. Klar, das ergibt schon alles irgendwo Sinn. Die japanische Wrestling-Kultur verfährt ja seit jeher ähnlich mit den Heavyweights und den Junior Heavyweights. Aber was, wenn all diese Grenzen verschwimmen? Das perfekte Beispiel dafür ist wohl Finn Balor. Der ist ein gebürtiger Ire, der 190 Pfund schwer bzw. leicht ist. Also müsste er doch theoretisch in England und/oder bei 205Live antreten. Halt, stopp. Eigentlich ist er ja im WWE Universal Title Picture bei Monday Night RAW. Irgendwie ist das alles nicht ganz klar definiert, was logisch ist, war WWE nie die Liga, die solche Richtlinien klar festgelegt oder eingehalten hat. Andernfalls hätte es Phänomene wie Rey Mysterio oder Daniel Bryan nie geben können. Doch wenn du kategorisierte Formate etablieren willst, brauchst du bis zu einem gewissen Grad ein klares Regelwerk. NXT schließe ich da ebenfalls mit ein. Natürlich sollten Leute wie AJ Styles nicht den Umweg über den Development-Brand nehmen müssen. Als etwas informierter Fan fragt man sich aber doch, warum Cruiserweights wie Ariya Daivari bei RAW auftreten dürfen, während sich erfahrenere und fähigere Leute wie Johnny Gargano, Tommaso Ciampa oder Austin Aries bei NXT ihren Weg nach oben kämpfen müssen.

So richtig weiß ich aktuell nicht, wo World Wrestling Entertainment eigentlich hin will. Bei RAW und SmackDown sieht man den klassischen Mainstream-Einheitsbrei, mal besser, mal schlechter. Bei NXT findet man oft einen perfekten Mittelweg zwischen Sports Entertainment-Elementen und dem sportlichen Aspekt. 205Live, wie auch das jüngste Format aus Blackpool, legen den Fokus da schon deutlich mehr auf das Wrestling selbst – Vergleiche mit dem Independent-Bereich sind definitiv angebracht. Festhalten kann man jedoch, dass die letztgenannten Shows immer deutlich durchdachter wirken als die beiden Eckpfeiler des WWE-Programms. Liegt das alles wirklich nur an Triple H? Oder daran, dass NXT usw. nicht von zehn Writern geschrieben wird, nur um am Ende durch die Vince McMahon-Kontrolle zu fallen? Oder sind es vielleicht die Wrestler selbst, die den Shows ihren positiven Stempel aufdrücken? Unterm Strich wird es sicherlich eine Mischung aus all diesen und weiteren, uns unbekannten Faktoren sein.

Doch zurück zum eigentlichen Ausgangspunkt, von dem ich doch ein wenig abgedriftet bin. Ich mag WWE, das dürfte jeder wissen, der diese Kolumne oder andere Formate mit meiner Beteiligung verfolgt. Allerdings spüre ich momentan ein deutliches Gefühl der Übersättigung, die diese ganze Expansion mit sich bringt. Die Hoffnungen, dass diese bald aufhört sind in etwa so groß wie die, dass Monday Night RAW wieder zweistündig wird. Das Wrestling-Business hat sich durch den Start des WWE Networks vor ziemlich genau drei Jahren unheimlich verändert. Manche sagen zum Guten, andere sagen zum Schlechten. Und ich befinde mich genau in der Mitte. Viele der Dinge, die WWE im Zuge der Network-Einführung produziert hat, empfinde ich als absolut sehenswert und Bereicherung für die Wrestling-Welt. Allerdings kann ich nicht bestreiten, dass mir gleichzeitig der Spaß an dem verloren ging, was ich früher so sehr schätzte, nämlich am alltäglichen Produkt des Marktführers. Trotz aller berechtigter Kritik an RAW und SmackDown habe ich beide Shows, inklusive der PPVs, immer sehr gern gesehen. Das lag aber vor allem daran, dass ich nach diesen vier Stunden auch fertig war mit der WWE-Woche. Nun fühlt man sich immer so, als würde man etwas verpassen, egal, wie viel man eigentlich guckt.

Momentan weiß ich nicht, wie ich persönlich diesem Gefühl entgegenwirken kann. Nüchtern betrachtet sollte ich vielleicht versuchen, mich "auf das Wesentlich zu beschränken". Aber was ist das Wesentliche? RAW und SmackDown? Grundsätzlich ja, aber NXT ist meist besser. Und 205Live kann ich mir ja auch angucken. Und... ach, wo soll ich aufhören? Wie dosiere ich Wrestling bzw. WWE genau richtig? Vielleicht habt ihr darauf ja die Antwort. Indes habe ich die leise Hoffnung, dass die verschiedenen Showkonzepte irgendwann dazu führen, dass RAW und SmackDown wieder ansehnlicher werden. Denn statt vieler Formate mit unterschiedlichen Stilen hätte ich gern lieber ein, zwei Programme, die eine gute Mischung aus all den positiven Dingen bietet, die das Wrestling bereithält: gute Matches mit den populärsten Wrestlern der Welt, durchdachte Charaktere, spannende Stories und epische Momente auf der wohl größtmöglichen Plattform. Vielleicht würde mein Gefühl der Übersättigung ja dadurch gelindert werden, wenn ich all das bei der größten Wrestlingpromotion der Welt bekommen könnte, ohne jede Woche sieben Stunden nach all diesen Einzelteilen suchen zu müssen.