Zum mittlerweile sechsten Mal veranstaltete
Westside Xtreme Wrestling am vergangenen Wochenende das 16 Carat Gold Tournament. In den vergangenen Jahren hat sich aus dem Turnier, das 2006 seinen Start im „kleinen Kreis“ vor gut 100 Zuschauern hatte, eines der bedeutendsten Independent Turniere weltweit entwickelt, für das schon in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Fans aus dem Ausland anreisten, um Teil dieses Spektakels zu sein. Zwar gibt es weltweit Turniere, die schon deutlich länger als das Carat bestand haben, doch die Mischung aus europäischen, amerikanischen und japanischen Wrestlern - die die Liga jedes Jahr bietet - ist weltweit äußert selten, wenn nicht sogar einmalig.
Somit gab es auch 2011 ein für meine Begriffe gut aufgestelltes Teilnehmerfeld. Die Kritik einiger, dass einige der Teilnehmer nicht dem Standard eines wXw 16 Carat Gold Tournaments entsprächen, konnte ich vorher nicht teilen und diese Meinung hat sich nach den drei Tagen am Wochenende bestätigt. Das interessante am diesjährigen Carat war für mich, dass neben altbekannten Gesichtern auch Wrestler antraten, die man bisher noch nicht im Turnier gesehen hatte. Ewige Topfavoriten wie
Chris Hero, der 2007, 2008 und 2010 im Turnier stand, gab es in diesem Jahr nicht, sondern vielmehr eine Aufstellung von Wrestlern, unter denen es nicht nur mir schwer fiel, einen Favoriten oder auch nur vier Halbfinalisten zu bestimmen. Denn ich hätte vor Beginn des Turniers mit Sicherheit acht Wrestler nennen können, die die vier Plätze in der Vorschlussrunde verdient hätten.
Carat bedeutet natürlich 3 Tage vollstes Wrestlingprogramm. Doch an diesen drei, vier oder gar fünf Tagen des Jahres trifft man immer wieder Gesichter, die man nur einmal im Jahr oder sogar noch seltener sieht. Ein sehr gutes Beispiel dafür war sicherlich die Cagematch Truppe, die in dieser Kombination wohl noch nie einen Event besucht hat und auf mich einen sehr sympathischen Eindruck machte. Und auch ich persönlich hatte Besuch von drei Freunden, die ich selten sehe. Bestes Beispiel dafür, was wXw für einige Fans bedeutet ist das eines nach Kanada ausgewanderten Fans, der zum ersten Mal seit 2 ¼ Jahren wieder bei der wXw war und der für dieses Erlebnis tief in die Tasche gegriffen hat.
Dementsprechend begann Tag 1 des Carats auch nicht mit einem Wrestling Match, sondern mit einer alten wXw Tradition, die seit dem Weggang der Liga aus Essen nur noch selten gepflegt wird: Dem Besuch des Café Nord in Essen, in dem man damals wie auch in diesem Jahr mit den Verantwortlichen der Liga bei Bier und Currywurst zusammensaß und sich gemeinsam auf die anstehende Show freuen konnte.
Der erste Tag des Turniers selbst dann bedeutete für die Fans bereits einen Marathon, denn es standen nicht nur die Turniermatches samt Alternate auf dem Programm, sondern erstmals in der Carat Geschichte auch ein World Title Match am Freitag. An diesem Abend gab es bereits einige ausgezeichnete Matches und es fällt mir wirklich schwer, eines herauszugreifen und dies als das beste Match des Abend zu deklarieren. Sehr gut gefiel mir etwa
Kotaro Suzuki vs.
El Generico oder auch
Go Shiozaki vs.
Johnny Moss; Auch das World Title Match hielt, was es versprach. Doch der Showstealer der Show waren für mich
Sami Callihan und
Tommy End, die ein wunderbares Match hinlegten. In jedem Fall dürfte dies eines der besten Matches in Tommys Karriere gewesen sein. Als beste Sequenz des Abends empfand ich das Finish im Match zwischen
Davey Richards und
Jon Ryan, dass wie aus einem Guss war und von Beiden nahezu perfekt umgesetzt war. Nach einem guten ersten Tag fand die Bochumer Gruppe um mich recht schnell den Weg nach Hause, da am nächsten Tag ein wahres Mammutprogramm anstand.
Der Samstag begann also schon sehr früh. Bereits um 11 Uhr nahmen wir den Zug Richtung Oberhausen, um das Q&A und
Thumbtack Jacks Lesung nicht zu verpassen. Für mich war natürlich speziell das Q&A mit den japanischen Wrestlern von Interesse, doch auch die übrigen Wrestler beantworteten geduldig und ausführlich die Fragen der Zuschauer, sodass bei allen anwesenden Fans – und dies waren ähnlich viele wie beim Carat Tag 1 2006 – ein positiver Gesamteindruck des Rahmenprogramms blieb.
Der erste Teil der zweiten Show begann eher schleppend und zunächst wollte nicht so recht Stimmung aufkommen, doch spätestens beim zweiten Match zwischen
Colt Cabana und
Marty Scurll änderte sich das. Gefreut hat es mich aber vor allem für 2-Face, der seit seiner Rückkehr einen immer stärkeren Eindruck macht und der an dieser Stelle auch zurecht einen Sieg über
Carnage feiern konnte. Insgesamt war die zweite Hälfte der Show deutlich besser als die Erste. Aber da dort alle Caratkämpfe vertreten waren, dazu noch ein World Title Match und das tolle Tag Match zwischen El Generico und
Emil Sitoci auf der einen und
Adam Cole und
Kyle O'Reilly auf der anderen Seite, ist das auch nicht verwunderlich. Bestes Match der Show war wohl eindeutig Davey Richards gegen
Zack Sabre Jr., die die Halle zum Kochen brachten. Doch auch das NOAH-interne Match war eine starke Darbietung. Insgesamt war es der schwächste Tag des Turniers, doch hier bewertet man nach Carat-Niveau. An jedem anderen Tag würde eine solche Show von mir 9 Punkte bekommen.
Nach der Show stand, wie im letzten Jahr auch schon, der Besuch des Irish Pubs an und an dieser Stelle zeigte sich einmal mehr das besondere Verhältnis, das wXw Publikum mit der Leitung der Liga und den für die Liga antretenden Wrestlern hat. Nach einiger Zeit erschienen neben dem wXw Team auch zahlreiche amerikanische und europäische Wrestler, die sich munter unter die Fans mischten, mit ihnen über die Shows, Wrestling im Allgemeinen und gänzlich andere Themen redeten. Letztlich ein durchaus feuchtfröhlicher Abend, an dem die meisten der Wrestler wie auch Fans ihren Spaß hatten. Ich will nicht behaupten, dass wXw die einzige Liga ist, in der Fans mit Wrestlern nach der Show ein Bier trinken gehen, doch eine Seltenheit im Wrestling Business ist es allemal. Welcher Fan kann nach einem Turnier wie dem 16 Carat schon von sich behaupten, dass ihm der Sieger des Turniers in den Kopf gebissen hat? Ja, es existiert ein Foto von dem Vorfall.
Tag 3 begann mit einer ebenso einmaligen Sache wie der Abend zuvor: Mit dem Fußballspiel zwischen Wrestlern und Fans. Nach tumultartigen Szenen während des Spiels – unter anderem sah
Baron von Hagen die gelbe Karte nach einem Piledriver gegen einen Fan, Schiedsrichter
Tassilo Jung erzielte ein Tor für die Wrestler und Krümel verletzte sich nach einer Grätsche gegen
Big Van Walter - konnten die Fans das Spiel nach Elfmeterschießen für sich entscheiden. Von mir grobgeschätzte 150 Zuschauer haben sich das Spiel angesehen und stellten damit die vermutlich höchste Zuschauerkulisse, die je ein Fußballspiel im Centreville gezogen hat.
Aufgrund der bisherigen zwei intensiven Carat-Tage war die Stimmung am Beginn der Show recht schlecht. Doch meine Aussagen „Heute chante ich ganz sicher nicht“ und „Den Chant krieg ich heute nicht gebacken“ waren spätestens beim dritten Match des Abends nicht mehr aktuell. Immerhin standen sich der Vorjahressieger Walter und Go Shiozaki gegenüber. Einem hart geführten Kampf folgte ein Match zwischen
Axeman und
Yoshihito Sasaki, das vielleicht das Breakout Match des Dresdeners war. Zumindest hat er sich seit seinem Debüt bei wXw enorm gesteigert und aufgrund seiner Carat Auftritte hat jetzt auch der letzte Fan davon Notiz genommen. Das Tag Team Title Match bei der Show diente einzig der Fehdenweiterführung zwischen Mind und wXw und war in diesem Rahmen in Ordnung. Das dritte World Title Match am Wochenende zwischen Champion
Daisuke Sekimoto und El Generico war wiederum eine fantastische Vorstellung. Eine unheimlich starke Aktion jagte die Nächste; Die False Finishes des Matches waren zahlreich, aber nicht übertrieben, sodass jeder Zuschauer bei jedem Pinfall mitfieberte und weit die Augen aufriss, als die Wrestler noch immer auskickten.
Eines der absoluten Highlight des Wochenendes war das Entrance Theme der
Leaders Of The New School, das die gesamte Halle zum beben brachte. Selten hat man es bei Shows, dass die Zuschauer aufgrund eines Liedes so sehr in kollektive Ekstase geraten wie es am Sonntag beim Song der Bloody Beetroots feat. Steve Aoki der Fall war. Was folgte war eines der atemberaubendsten Tag Team Matches in der Geschichte von Westside Xtreme Wrestling. Man merkte den Leaders an, dass sie nicht zum ersten Mal mit Cole und O'Reilly im Ring standen und so sah man hier ein mehr als nur würdiges vorletztes Match des Wochenendes.
Der Main Event zwischen Walter und Sami Callihan startete mit einem richtig knappen Nearfall und nachdem Sami noch durch einen Tisch geworfen wurde, schien das Carat-Finale vorbei zu sein, bevor es richtig anfing. Doch mit der sich noch einmal aufbäumenden Stimmgewalt der Fans im Rücken gelang Sami bei 9 die Rückkehr ins Seilgeviert und schließlich ein aufopfernder Kampf, an dessen Ende er den Riesen zu Boden brachte und diesen im Stretch Muffler gefangen nahm, aus dem es für Walter auch dank harten Tritten gegen den Kopf kein Entkommen mehr gab. Dies veranlasste den Ringrichter Tassilo Jung schlussendlich dazu, den Kampf abzubrechen. Das Match war im Grunde der perfekte Abschluss für das Turnier, denn die Länge des Kampfes war angesichts der Tatsache, dass Beide am Wochenende schon drei Kämpfe bestritten, richtig gewählt und auch die Dramaturgie des Kampfes war ausgezeichnet. Somit gewann mit Sami Callihan der Wrestler, den die meisten Fans sich auch als Sieger wünschten. Vor dem Turnier war Sami alles andere als mein Favorit, doch nach Show und Aftershow am Samstag und als Gegner von Walter bejubelte auch ich den Sieg des „New Horror“.
Insgesamt gesehen waren es drei ausgezeichnete Tage Pro-Wrestling mit einer wie immer fantastischen Crowd, die ein sehr feines Gespür dafür hat, wann in Matches die Unterstützung der Wrestler angesagt ist. Es fällt mir schwer, das Turnier hinsichtlich seiner Stärke einzuordnen, denn das Teilnehmerfeld lässt sich mit denen der Vorjahre nur schwer vergleichen. Doch wenn ich es mit dem Turnier des Vorjahres vergleichen sollte, würde ich sagen, dass das diesjährige marginal schwächer war, was allerdings keinen Anlass dazu gibt, enttäuscht zu sein. Denn für mich war das Turnier 2010 das bisher Stärkste und ich bin mir nicht sicher, ob es jemals getoppt werden kann.
Letztlich waren es auch herausragende Tage mit einer unglaublich verschiedenartig zusammengesetzten Fanschar, deren Gemeinsamkeit aber die Liebe zum Pro-Wrestling ist und für diejenigen, die schon länger die Shows der Liga besuchen ist es - wenn auch einige von ihnen kaum noch Wrestling verfolgen - die Liebe zur wXw, die den Besuch des 16 Carat Gold Tournaments jedes Jahr zur Pflicht und zum Privileg gleichzeitig macht.