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Ist die Arche auf Sand gelaufen? Eine Betrachtung der Lage von Pro Wrestling NOAH

Kolumne

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Published on:
21.03.2010, 19:04 
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Als im Jahr 2000 eine Gruppe von Männern bekannt gaben, ihre bisherige Heimat All Japan Pro Wrestling zu verlassen und sich einem neuen Projekt unter der Leitung des mittlerweile von uns gegangenen Mitsuharu Misawa anzuschließen, spürte man den Elan und den Tatendrang derjenigen, die diesen Schritt wagten und sich gemeinsam mit Misawa auf die Arche namens Pro Wrestling NOAH begaben. Man wollte etwas neues aufbauen, etwas großes und einige Jahre sah es tatsächlich so aus, als könnte NOAH genau das schaffen. Die Liga produzierte Top Matches am Fließband, die Shows wurden von der Gemeinschaft der Puroresu Fans fast ausnahmslos angenommen und 2004 wagte NOAH dann den ganz großen Wurf: Man trat in Konkurrenz zu New Japan Pro Wrestling und den großen Mixed Martial Arts Ligen Japans und veranstaltete eine Show im Tokyo Dome. Selbiges wiederholte man 2005 noch einmal mit einer wahrhaft großen Show, in deren Zentrum einige der absolut Größten des Business standen: Mitsuharu Misawa, Kenta Kobashi, Toshiaki Kawada, Genichiro Tenryu, Kensuke Sasaki.

Genau an dieser Stelle beginnt das Problem, was NOAH seit Beginn seiner Existenz hatte: Die Liga zehrte fast ausschließlich von den Erfolgen und von der Reputation, die sich Männer wie die oben aufgereihten über die letzten Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut hatten – und das nicht bei NOAH. Die meisten dieser Männer standen schon in den 1990er Jahren im Rampenlicht von All Japan Pro Wrestling gelangten dort zu Weltruhm. Sicherlich war es für NOAH wichtig, diese Männer in den eigenen Reihen zu haben, um wirklich die vielfach beschworene Drawing Power zu entwickeln. Doch eines schaffte NOAH nie, etwas, wofür viele Fans die Liga schon seit vielen Jahren kritisierten und was langfristig einfach zu einem handfesten Problem werden musste: Die Liga schaffte es zu keinem Zeitpunkt, neue Stars der Kaliber Misawa, Kobashi oder Kawada aufzubauen. Noch prekärer: Seit Existenz der Liga debütierten sieben neue Wrestler: Kotaro Suzuki, Go Shiozaki, Atsushi Aoki, Akihiko Ito, Genba Hirayanagi, Shuhei Taniguchi und Ippei Ota. Wenn man dagegen schaut, wie viele hoffnungsvolle Rookies die Dojos von New Japan oder Dragon Gate immer wieder produzieren, welche Namen gerade New Japans Dojo verließen (man denke an Leute wie Hirooki Goto, Yujiro Takahashi oder Tetsuya Naito) und beachtet, dass auch All Japan es mittlerweile wieder schafft, gute Rookies ins Feld zu schicken, kann man NOAH im Punkt der Nachwuchsarbeit ein einfach nur vernichtendes Zeugnis ausstellen. Note: Mangelhaft.

Was hätte NOAH tun müssen? Wie bereits angedeutet, musste man einfach erkennen, dass sich Stars wie Kobashi nicht noch weitere 10 Jahre durch den Ring schleppen können und hätte bereits vor Jahren den Aufbau neuer Stars einleiten müssen. Natürlich kann man sagen, dass man hinterher stets schlauer ist und mit Takeshi Morishima, Naomichi Marufuji, KENTA, Takashi Sugiura, Go Shiozaki oder Takeshi Rikio hat man sich tatsächlich daran gemacht, neue Stars zu etablieren, doch können diese Männer bis heute wenige Siege gegen die wirklichen Top Stars vorweisen. Gerade der Aufbau von Takeshi Rikio zeigt, dass NOAH es nie verstand, wie ein neuer Star aufzubauen ist. Takeshi Rikio hatte sicherlich einen guten Start: Zwei Pinfall Siege über Kenta Kobashi sind eine Rarität, doch was folgte dann? Rikio war zu dieser Zeit wirklich auf dem aufsteigenden Ast und man merkte ihm eben jenen Elan und Tatendrang an, den es braucht, um die Fans hinter sich zu bringen. Doch dann passierte etwas, was nicht passieren durfte. Wenn man es mit Rikio ernst gemeint hätte, hätte man ihm zum wirklichen Durchbruch verholfen, doch nach wenigen Monaten machte man einen unverständlichen Rückzieher und der GHC Heavyweight Titel war in Besitz von Akira Taue.

Über Rikio kann man indes urteilen, wie man möchte, doch das, was ihm wiederfuhr, durchlebte in ähnlicher Art auch Takeshi Morishima, dessen Regentschaft insgesamt auch als gescheitert an zusehen ist. Ich erinnere mich noch an einen Satz, den ich 2005 äußerte: "NOAH muss jetzt einfach Morishima vs. Rikio im Dome Main Event bringen, um mit New Japan gleichzuziehen." 2005 wagte sich New Japan die damals noch nicht endgültig an der Spitze angekommenen Hiroshi Tanahashi und Shinsuke Nakamura in den Main Event der alljährlichen Tokyo Dome Show zu stellen. Sicherlich war diese Forderung meinerseits nicht sonderlich realistisch, zumal Rikio und Morishima damals nicht das Format hatten, was etwa ein Tanahashi bereits hatte, doch so oder so ähnlich hätte ein Aufbau funktionieren können. Meint man es ernst, muss man auch bereit sein, Risikos einzugehen. Mit Rikio ging man in Richtung eines Risikos, doch man zog es nicht mit voller Überzeugung durch. Das lag mit Sicherheit auch an einem Phänomen, was Pro Wrestling NOAH zu einem wahren Phänomen innerhalb des Wrestlings macht: Die Fans sind einfach nicht bereit, neue Stars anzunehmen. Wieso sollten sie aber auch? Man hat sich doch über Jahre mit dem versorgt, was sie schon im All Japan Ring der 90er liebten: Matches zwischen ihren Lieblingen. Ich will nicht sagen, dass NOAH ein reines Retro-Produkt wie Real Japan Pro Wrestling ist, doch es trägt ganz klar diese Züge.

Mit dieser Betrachtung sind wir nun in der Gegenwart angekommen: Zu den Problemen, die sich NOAH selbst geschaffen hat, kam der alles überschattende Tod von Mitsuharu Misawa 2009 und eine seitdem kaum mehr enden wollende Verletztenmisere, die Fans mittlerweile fast nur noch mit schockiertem Schweigen kommentieren. Es aber auf die Verletzten zu schieben wäre wie im Fußball auch zu einfach. NOAH hat zu wenig hoffnungsvolle Rookies, NOAH lebte lange Zeit von dem Ruf – ja, jetzt sage ich es – alter Männer und in Kombination mit den Verletzungsproblemen steht man vor einem Problem, das wohl kaum noch zu lösen ist.

Dies zeigte sich in dem grotesken Spektakel der Show vom 20.03., als es im Main Event zu einer doppelten Disqualifikation zwischen den Teams Takeshi Rikio & Mohammed Yone und Big Murakami & Katsumi Usuda kam. Berichten ist zu entnehmen, dass die Fans das Ende des Matches genau so wenig angenommen haben wie sie in der Lage sind, neue Wrestler anzunehmen. Dass man unmittelbar nach der Show GHC Heavyweight Champion Takashi Sugiura raus schickte, um sich bei den Fans zu entschuldigen, setzt dem ganzen die Krone auf. Hier muss man aber eines anerkennen: NOAH hat versucht, etwas Innovatives zu bringen. Denn ein solches Finish sieht man in japanischen Seilgevierten sonst nicht. An diesem Finish manifestierte sich aber das Problem der Liga: Die Innovationsfeindlichkeit der Promotion hat sich auf die Zuschauer übertragen und NOAH steht nunmehr vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz. Auf die Gefahr hin, dass ich nun drei Euro in ein imaginäres Phrasenschwein werfen muss, komme ich allmählich zum Schluss und sage: Die Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht.

In der Tat waren die Fehler aus meiner Sicht so schwerwiegend, dass NOAH definitiv keine weiteren 10 Jahre bestehen wird. Für die Korakuen Hall Show am letzten Samstag gab die Promotion 1.450 Zuschauer an. Wenn man bedenkt, dass japanische Ligen grundsätzlich die Zuschauerzahlen verfälschen, kann man davon ausgehen, dass die Halle vielleicht etwa zur Hälfte gefüllt gewesen ist, also knappe 900-1100 Zuschauer tatsächlich anwesend waren. Damit kann die Liga nicht in der Form weiterhin existieren, die wir alle kennen und die uns über einige Jahre wirklich begeistert haben mag. Ich bin pessimistisch und sage, dass etwaige Maßnahmen keine Wende mehr bringen werden.