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Eastern Lariat #10: NOAHs große Irrfahrt

Kolumne

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Published on:
05.12.2012, 17:10 
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Noch vor einigen Jahren hatte es den Anschein, dass die Mannen, die 2000 die Arche betraten, um zu neuen Ufern zu navigieren, dies äußerst erfolgreich tun würden. Es schien so, als würde die Mannschaft bald auf Festland treffen würde, um somit die Fahrt zu beenden. Doch die neusten Nachrichten rund um Pro Wrestling NOAH lassen eher Vermutung aufkommen, dass sich die noch verbliebenen Mitglieder auf einer Fahrt befinden, deren Ende wenig verheißungsvoll ist. Lange schon wirkt die Reise nicht mehr wie eine Fahrt in eine bessere Zukunft, sondern wie eine große Irrfahrt voller Missverständnisse.

Am Dienstag, den 04. Dezember brach eine Nachricht in die Welt des Pro-Wrestling herein, die für großes Aufsehen sorgte und die die Landschaft des japanischen Wrestlings in Zukunft deutlich verändern könnte. Sowohl Tokyo Sports als auch der Wrestling Observer berichteten, dass Kenta Kobashi, eine der großen Legenden des Puroresu, ehemaliger GHC Heavyweight Champion und langjährige Stütze von Pro Wrestling NOAH, von seiner Heimatpromotion entlassen worden sei. Doch damit nicht genug: Aus Solidarität zu Kenta Kobashi planen auch Jun Akiyama, Go Shiozaki, Yoshinobu Kanemaru, Kotaro Suzuki und Atsushi Aoki, die Promotion nach Ablauf ihres Vertrages am Ende des Jahres zu verlassen.

Die Entlassung Kobashis wurde derweil wenig öf­fent­lich­keits­wirk­sam von NOAH Präsident Akira Taue dementiert. Gleichzeitig sagte er, Kobashi werde sich bei NOAHs Ryogoku Show am Sonntag zu seiner Zukunft äußern. Eingestehen musste Taue jedoch, dass es in der Tat eine Liste von Wrestlern gibt, die die Liga verlassen wollen. Warum sie dies tun wollen, erwähnte Taue nicht, sondern merkte lediglich an, dass er weiterhin Gespräche mit diesen Leuten führen möchte.

Das Eingeständnis, dass einige Wrestler, namentlich wohl die fünf aufgeführten, NOAH verlassen wollen, zeigt, dass bei der Abspaltung von All Japan Pro Wrestling einiges im Argen liegt. Dass das Ganze nicht mit der Personalie Kenta Kobashi zu tun hat, scheint indes unwahrscheinlich. Im Zentrum der gesamten Problematik steht Akira Taue, der zwischen den Stühlen sitzt. Einerseits ist er ein langjähriger Vertrauter der Wrestler, die NOAH verlassen müssen bzw. es wollen, andererseits ist er als Präsident der Organisation hinter dem Vorhang verpflichtet und muss in dieser Funktion für ein erfolgreiches Weiterbestehen sorgen. Ein erfolgreiches Weiterbestehen kann es für NOAH nur auf einer soliden finanziellen Basis geben, womit wiederum Kenta Kobashi ins Spiel kommt. Der Hauptgrund für die Entlassung Kobashis sei nämlich dessen Gehalt, das zu einem der höchsten im japanischen Wrestling zählen soll. Für eine Promotion, die seit Jahren auf dem absteigenden Ast ist, ist dies eine Bürde, die man offensichtlich nicht mehr tragen konnte bzw. nicht mehr zu tragen bereit war. Wenn ich "man" schreibe, dann beziehe ich mich darauf nicht auf Akira Taue, denn laut weiteren Meldungen hat sich Taue gegen die Entlassung Kobashis ausgesprochen.

Somit könnte der Auftritt Kobashis am kommenden Sonntag einen Kompromiss darstellen. Dass Kenta Kobashi nicht mehr in einen Wrestling-Ring gehört, haben wir Fans spätestens bei All Together II schmerzlich erleben müssen. Wenn Taue Kobashi nun nicht entlassen wollte, man sein Gehalt aber aufgrund der finanziellen Situation dennoch einsparen muss, könnte ein öffentlicher Rücktritt Kobashis beim kommenden Event in Tokyo einen Mittelweg darstellen, der eines schaffen könnte, was die Meldungen über eine Entlassung gefährdeten: Er könnte das Gesicht der Promotion wahren – etwas, was in der japanischen Gesellschaft bis heute von größer Wichtigkeit ist.

Hat die Arche eine Zukunft?

Auf eine Zukunft ohne Kobashi musste man sich seit mehreren Jahren einstellen und im Grunde stellte bereits das Jahr 2010 einen Testlauf dar, wie NOAH ohne Kenta Kobashi, der die Promotion lange Jahre auf seinem Rücken trug und sich auf diesem Wege seine Knie ruinierte, aussehen könnte. An der Spitze standen abwechselnd Leute wie Jun Akiyama, Takashi Sugiura, Go Shiozaki oder aktuell Takeshi Morishima. Große Namen, die in den letzten Jahren nicht GHC Heavyweight Champion waren, heißen KENTA und Naomichi Marufuji. Ausgehend davon, dass Akiyama und Shiozaki vor dem Absprung stehen und dass mit Akitoshi Saito ein weiterer nach wie vor sehr beliebter Wrestler und enger Freund von Jun Akiyama folgen könnte, blieben der Promotion somit vier Top-Stars. Von diesen Stars ist Sugiura 42 Jahre alt und fiel zuletzt aufgrund eines Bandscheibenvorfalls lange aus. Um eine berühmte, auf uns alle zutreffende Floskel zu bemühen: Sugiura wird nicht jünger und somit wird die Wahrscheinlichkeit ähnlicher Verletzungen in den kommenden Jahren nicht geringer. KENTA ist zwar deutlich jünger als Sugiura, schleppt aber durch je einen Kreuzbandriss im linken und im rechten Knie ein immenses Handicap mit sich. Marufuji, ebenfalls in seinen Dreißigern, fiel bereits zwei Mal wegen schwerer Halswirbelverletzungen jeweils etwa ein halbes Jahr aus.

NOAH hat es tatsächlich verstanden, diese Leute soweit aufzubauen, dass sie tatsächlich zu einem gewissen Bekanntheitsgrad in der japanischen Szene kamen und gleichzeitig von den Fans von Pro Wrestling NOAH als Stars anerkannt wurden, doch die Zeit, denen all diesen Leuten verbleibt, ist definitiv begrenzt. Somit bliebe bei einem Abgang der fünf erwähnten Leistungsträger Takeshi Morishima als Top-Star, der in einem vergleichsweise guten körperlichen Zustand ist. Dies ist keine Basis, auf der eine Promotion fortzuführen wäre, die den Ansprüchen genügt, mit denen NOAH einst gegründet wurde. Schafft man es, das Gesicht der Promotion zu wahren, schaffen es die Stars, noch einige Jahre in den Ring zu steigen und schafft man es gleichzeitig, die Abgänge durch den Aufbau neuer Stars auf irgendeine Art und Weise zu kompensieren, dann bin ich bereit, von einer Zukunft für NOAH zu sprechen. Dies jedoch in einem wesentlich kleineren Rahmen als es derzeit der Fall ist – und der Rahmen ist, wie gesagt, zuletzt immer kleiner geworden.

Sicherlich könnte die Promotion ohne die Stars, die nach Kobashi sicher auch zu den teuersten der Liga zählen dürften, ein Produkt auf die Beine stellen, das aufgrund seines Namens noch einige Fans anziehen dürfte. Mir jedoch stellt sich die ernsthafte Frage, ob NOAH so für die Verbliebenen eine Lebensgrundlage darstellen kann. Das Beispiel Pro Wrestling ZERO1, wo vor einigen Jahren das Roster aus finanziellen Gründen auf ein Minimum von knapp einem halben Dutzend Vertragswrestlern reduziert wurde, zeigt, dass ein solcher Schnitt eine Promotion retten kann. Allerdings ist dieser Schnitt kaum mit NOAH vergleichbar, denn die (dementierte) Nachricht von Kobashis Entlassung stellt nur einen Höhepunkt des Jahres 2012 dar, in dem NOAH wie keine andere Promotion Japans negative Schlagzeilen schrieb. Wäre es also nicht besser, mit den Namen Pro Wrestling NOAH abzuschließen und unabhängig von jeglichen Mafia-Bekenntnissen und unabhängig der Probleme, in die sich das von Mitsuharu Misawa begründete Projekt manövrierte, ein neues Projekt zu gründen? Doch es stellt sich auch die Frage, ob die Entwicklung des Puroresu eine Neugründung einer Liga derzeit überhaupt zulässt. Dass es in einem gewissen Rahmen funktionieren kann, zeigt derzeit TAJIRI mit seiner neuen Promotion Wrestling New Classic, die zu drei Korakuen Hall Shows bereits offiziell mehr als 1.600 Zuschauer begrüßen konnte, die aber medial wenig Aufmerksam findet.

Wer könnte profitieren?

Bereits einen Tag nach der aufsehenerregenden Nachricht äußerte sich All Japans Präsident Masayuki Uchida gegenüber Tokyo Sports. Er erklärte, dass die Tür für eine Rückkehr bzw. Verpflichtung der sechs Wrestler durch All Japan offen stehe. Damit preschte Uchida weit voraus, denn der Zusammenarbeit zwischen NOAH und All Japan - Shuji Kondo hält derzeit den GHC Jr. Heavyweight Titel – könnte diese Äußerung einen herben Schlag versetzen. Im gleichen Atemzug erklärte Uchida aber auch, dass sich das Angebot auf Auftritte als Freelancer beschränke. All Japan ist derzeit offensichtlich auch nicht in der Lage, ihr dünnes Roster durch weitere unter Vertrag stehende Wrestler zu ergänzen, so klangvoll die Namen auch sein mögen. Die monetäre Situation All Japans scheint nur unwesentlich besser zu sein als die von Pro Wrestling NOAH, was angesichts der Zuschauerzahlen, die All Japan für ihre Houseshows veröffentlicht, nicht weit hergeholt scheint. Keine öffentliche Äußerung gab es von New Japan Pro Wrestling, deren Produkt jedoch auf einer so soliden Basis steht, dass man einen Neuzugang von der grünen Matte nicht unbedingt nötig hat.

Deutlich bessere Zahlen und ein sehr solides Management können sowohl Dragon Gate als auch Dramatic Dream Team vorweisen. Bereits in den letzten Jahren sind gerade diese beiden Promotions von Semi-Indy Promotions zu ernsthaften nationalen Konkurrenten für das, was man einst als die "großen Drei" bezeichnete, geworden. Während New Japan seine Konkurrenten All Japan und NOAH um Längen hinter sich gelassen hat, müssen die beiden zuletzt genannten aufpassen, nicht hinter DDT und Dragon Gate zurückzufallen. Nie zuvor scheint die Voraussetzung günstiger, auch in der nationalen Wahrnehmung den Sprung auf die Position hinter New Japan zu schaffen, die die beiden Ligen in Sachen Produktion, Zuschauerzahlen und auch TV-Zeit bereits eingenommen haben. Auch Kaientai Dojo, die eng mit New Japan zusammenarbeiten und die von der abfallenden Popularität durchaus profitieren könnten, – als Beispiel sei hier das Projekt NEVER genannt – präsentieren ein Produkt, das sich hinter dem von NOAH oftmals nicht verstecken muss.

Mit Spannung zu erwarten sind also Kenta Kobashis Äußerungen am Sonntag, die für die weitere Zukunft von Pro Wrestling NOAH von großer Bedeutung sein könnten.