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Eastern Lariat #4: G1 Climax, All Together und Inoki, Puroresu in der Krise?

Kolumne

Article information
Nach dem G1 Climax ist vor dem G1 Climax. Diese goldene Regel, die bei New Japan Pro Wrestling seit 21 Jahren gilt, gilt in diesem Jahr auch für All Together. Unmittelbar nach dem Main Event der Supershow am 27.08. wurde bekannt, dass am 19.02.2012 All Together II im Sendai, Miyagi stattfinden wird. Diese Ausgabe von Eastern Lariat soll zunächst mit einem Blick auf den diesjährigen G1 Climax beginnen, dessen Sieger Shinsuke Nakamura schon unmittelbar nach dem Climax in einer Personalie gewürdigt wurde.

G1 Climax ~ King of Tournaments?

Im Vorfeld des G1 Climax progonstizierte ich in der zweiten Ausgabe von Eastern Lariat folgendes: "Insgesamt aber verspricht der August auch 2011 der goldene Monat für New Japan zu werden. Zu gut besetzt sind die Shows, zu spannend wird der Turnierverlauf sein, als dass die Gefahr besteht, dass der G1 kein starkes Turnier wird."

Diese Aussage ist nach Ansicht aller G1 Shows etwas einzuschränken. Die Wrestler, die ich als Füllmaterial bezeichnete, haben letztendlich dafür gesorgt, dass bei vielen der Matches kein wirkliches G1-Feeling aufkam. Matches wie Wataru Inoue vs. La Sombra, selbiger Mexikaner gegen Strong Man oder auch Lance Archer vs. Hideo Saito waren keine Matches, die sich der geneigte Fan als Kämpfe im vermeintlich bedeutendsten Turnier der Welt wünscht. Aufgrund dieses Füllmaterials erreichten die meisten G1 Shows nicht mehr als eine durchschnittliche Bewertung, wobei der zweite Turniertag der wohl schwächste des gesamten Turniers war. Obgleich es mit Satoshi Kojima vs. Shinsuke Nakamura ein Match gab, das es in den Matchguide schaffte, war der Rest der Veranstaltung wenig sehenswert. Nachdem in den ersten fünf Climax Tagen immer wieder deutliche Qualitätsschwankungen festzustellen waren, änderte sich dies auf halben Weg zum Finale in der Tokyo Ryogoku Kokugikan.

Dies drückt sich unter anderem dadurch aus, dass es aus den ersten fünf Tagen sechs Matches in den Matchguide schafften, während aus den verbliebenen fünf Veranstaltungen acht Matches – davon zugegebenermaßen gleich vier vom Finaltag – Einzug hielten. Dennoch ist hieran das gestiegene Niveau des Climax abzulesen, dessen unumschränkter Star Shinsuke Nakamura war, der mit gleich fünf Climax-Matches in der Datenbank vertreten ist. Insgesamt gesehen bot sich beim Climax ein Bild, das mich schlussendlich doch dazu bringt, das Turnier als gelungen zu beschreiben. Zwar sorgte es vielleicht nicht für den angekündigten goldenen Monat, aber ein Wrestling-Turnier, das seine Qualität bis zum Finaltag kontinuierlich steigert, vermittelt bei dieser Steigerung vor allem eines: Authentizität. Diese Authentizität ist es, die sich viele Fans von den Produkten, die sie sehen, wünschen. Insbesondere in Japan ist diese Glaubwürdigkeit ein elementarer Faktor für das Pro-Wrestling.

Puroresu in der Krise?

Das Pro-Wrestling in Japan als solches war zuletzt das Thema im Wrestling Observer. Dave Meltzer beschrieb hier, dass das Interesse am Puroresu auf einem historischen Tiefpunkt sei, dass der Markt für Wrestling derzeit sehr schwach sei und dass trotz der Massen, die All Together und Antonio Inokis Superstars Festival anzogen, kein Ausdruck eines Wandels sei. Die Crowd von All Together beschreibt Meltzer als Nostalgie-Crowd, die vor allem für Stars aus einer anderen Ära jubelte: Super Strong Machine, Masanobu Fuchi, Keiji Muto und Kenta Kobashi. Völlig außen vor lässt Meltzer die großartige Reaktion, die Richard Breyer, der originale Destroyer, erhielt. Neben der fehlenden finanziellen Unterstützung auch durch dubiose Geldgeber wie die Mafia fehle es den Ligen vor allem an Aushängeschildern, die dem Mainstream-Publikum bekannt seien, wie es Inoki und Giant Baba sind bzw. waren.

Meltzer nennt sicherlich einige richtige Punkte. Puroresu-Shows ziehen nicht mehr die Massen von Fans an, wie es in den 1970er, 80er oder auch noch in den 90er Jahren der Fall war. Das mag multiple Faktoren haben und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes ist einer der Faktoren, die hier ins Spiel kommen, ganz sicher aber nicht der Ausschlaggebende. Meltzer macht es sich in meinen Augen etwas einfach, wenn er schwache Zuschauerzahlen auf fehlende Gelder und allgemeine Strukturschwäche zurückführt. Natürlich ist es unumstritten, dass es alles überragende Stars wie Giant Baba und Antonio Inoki nicht mehr gibt und es aktuell auch keine Stars gibt, die das Mainstream-Publikum in der Form ansprechen, wie es die beiden Großen des Puroresu taten, aber geschwundene Zuschauerzahlen haben für mich noch ganz andere, hauseigene Gründe.

Meltzer spricht in seinem Artikel darüber, dass vor allem Pro Wrestling NOAH und All Japan Pro Wrestling mit ernstzunehmenden finanziellen Probleme zu kämpfen haben. Die Gründe, wieso es bei beiden Ligen derart düster aussieht, wurden schon in einigen Artikeln besprochen und müssen hier nicht noch einmal in aller Breite diskutiert werden. Daher in aller Kürze: All Japan leidet nach wie vor unter dem Split, aus dem NOAH entstand, unter dem Skandal im Mai dieses Jahres und darunter, dass Keiji Muto seit seiner aktiven Rückkehr keine Houseshow-Matches mehr bestreitet. NOAH auf der anderen Seite versäumte über Jahre hinweg den Aufbau neuer Stars. Das Produkt hat sich in den 11 Jahren seines Bestehens nie signifikant verändert und stagniert somit seit geraumer Zeit. Zuletzt war es sogar so, dass die 11th Anniversary Show selbst auf dem Kampfsportsender Samurai! TV nur in geclippter Form erschien. Erst ab dem Tag Team Match Kenta Kobashi & Shuhei Taniguchi vs. Takashi Sugiura & Mohammed Yone wurden die letzten 3 Kämpfe in voller Länge ausgestrahlt.

Deutlich wenige Probleme hat – dies erwähnt Meltzer auch – New Japan, wo man im krassen Gegensatz zu NOAH keine der genannten Fehler beging. Bei New Japan kommt zum Ausdruck, was Meltzer in seiner Kolumne unbeachtet ließ: Die Liga hat die Kurve bekommen, kann insbesondere bei den großen Events immer sehr gute Besucherzahlen vorweisen und, dies ist vor allem zu betonen, New Japan hat eine grundsolide Fanbasis, die dafür sorgt, dass bei den allermeisten Veranstaltungen zwischen 1.000 und 2.000 Zuschauer in den Hallen sind. Ähnliches gilt für Dragon Gate. Für amerikanische Mainstream-Verhältnisse mag dies wenig klingen, aber hier kommt ein weiterer Faktor ins Spiel: Die Masse an Wrestling-Shows in Japan. Anders als in den USA gibt es wie mit World Wrestling Entertainment keine Organisation, die alles andere in den Schatten stellt, nicht nur die landesweit veranstaltenden Promotions haben eine Fanbasis, sondern auch lokal operierende Ligen können oft einige hundert Fans begrüßen. Vor allem in Tokyo ist der Wettbewerb hart. Es kommt durchaus vor, dass an einem Abend im Großraum Tokyo fünf oder mehr Shows stattfinden, oftmals in ein und der selben Halle: In der Korakuen Hall.

Zusammenfassend: Die breite Masse der Bevölkerung pilgert nicht mehr zu den großen Events von New Japan oder All Japan, vielmehr verteilen die Wrestling Fans in Japan sich auf Veranstaltungen, deren Anzahl seit den 90er Jahren stetig gestiegen ist und auf Promotions, die ständig neue Nischen ausnutzen. Meltzer vergisst ferner darauf hinzuweisen, dass sein Steckenpferd Mixed-Martial-Arts in Japan ebenfalls von finanziellen Problemen gebeutelt ist. DREAM, de facto Nachfolger von PRIDE FC, ist praktisch pleite und K-1 wurde vor kurzem von der Fighting and Entertainment Group verkauft. Legenden wie Peter Aerts und Jerome LeBanner steigen mittlerweile für Inoki in den Wrestling-Ring, Bob Sapp trat kürzlich in Deutschland bei einem Kickbox-Event auf. Der gesamte Kampfsport in Japan hat es nicht leicht und hat im Vergleich zu den Jahren des Booms ca. 2000 – 2007 mit rückläufigen Zahlen zu kämpfen. Um aus diesem Dilemma auszubrechen braucht es einerseits natürlich Gelder, um Strukturen aufzubauen bzw. zu verbessern, vor allem aber kreative Ideen und Prozesse. Solche gibt es vor allem bei New Japan und bei Dragon Gate.

All Together Now!

Nun erscheint All Together vor diesen Überlegungen in einem völlig anderen Licht. Natürlich diente diese Veranstaltung Benefiz-Zwecken und die Puroresu-Gemeinde drückte mit All Together und der beeindruckenden Zuschauerzahl von 17.000 Fans aus, dass Japan an einem Strang zieht, aber das mediale Interesse an der Show war für die Promotions eine Werbung, die sie sonst kaum erhalten hätten. Die Show war sogar Thema in den abendlichen Nachrichten des zweitgrößten japanischen Fernsehsenders Nippon TV. Werbung, die gerade All Japan und NOAH bitter nötig haben. Letztendlich war es bei All Together selbstredend auffällig, dass gerade die großen Stars des Puroresu wie eben Muto oder Kobashi die meisten Reaktionen erhielten, doch ist eine Crowd deshalb gleich als "nostalgia crowd" zu bezeichnen? Für mich ist es völlig natürlich und kein alleiniges Phänomen des Puroresu, dass Stars aus einer anderen Ära bei Zuschauern, die seit vielen, vielen Jahren Wrestling schauen, immer einen ganz besonderen Stellenwert genießen und die aktuellen Stars in den Schatten zu stellen vermögen. Das gilt in Japan für Kobashi oder Muto, genau so in den USA für Hulk Hogan, Steve Austin oder The Rock.

Ich empfand die Reaktionen, die die aktuellen Stars der Promotions, allen voran natürlich die von New Japan, bei All Together bekamen, insgesamt gesehen völlig in Ordnung. Ein Tetsuya Naito etwa erhielt stärkere Publikumsreaktionen als das gesamte Roster von All Japan – mit Ausnahme von Suwama. Auch die Reaktionen für NOAH Vertreter wie Superstar Go Shiozaki, Akitoshi Saito, Kotaro Suzuki oder Kensuke Sasakis Ziehsohn Katsuhiko Nakajma waren nicht schlecht. Die japanischen Fans sind nicht dafür bekannt, dass sie bei Events völlig ausrasten und gerade im Land der aufgehenden Sonne wird man erst nach vielen, vielen Jahren ein wirklicher Star im Pro-Wrestling. Deshalb ist Nostalgie nicht der alleinige Grund, wieso Kenta Kobashi diese frenetischen Reaktionen erhielt. Die Reaktionen erklären sich durch seinen generellen Status als Legende und durch die Tatsache, dass es erst Kobashis viertes Match seit seiner Rückkehr und das erste im großen Rahmen war.

Die Atmosphäre bei All Together war einzigartig, so viel kann man mit Fug und Recht behaupten. Es gab viele kleine und große Momente: Kleine Momente etwa, als in der Battle Royal auf die Gefährlichkeit von Yoshinari Ogawas Einroller hingewiesen wurde, als bei Takao Omori und Jun Akiyama auf die Vergangenheit als Tag Team Partner und Rivalen verwiesen wurde oder eben, als Keiji Muto und Kenta Kobashi beide trotz lädierter Körper einen Moonsault sprangen. Gespielt wurde im Main Event vor allem mit KENSOs Status, der neben Hiroshi Tanahashi und Shinsuke Nakamura, neben Go Shiozaki und Takashi Sugiura und eben neben Suwama nicht wirklich in dieses Match passte. Völlig absurd, aber durchaus amüsant wirkte die Situation, als KENSO seinen Partner Nakamura ohrfeigte und dafür die volle Palette an Finishern seiner Partner und Gegner einstecken musste, eben "all together". Alles in allem war die Show selbst ein tolles Erlebnis und sollte von Fans, die den Puroresu lange Jahre die Stange gehalten haben, auf jeden Fall gesehen werden.

Am Ende der Show betrat ein Großteil des Rosters den Ring und sang gemeinsam mit der japanischen Indie-Band FUNKIST den Theme Song mit dem einleuchtenden Titel "All Together". FUNKIST sangen den Theme Song zur Aminationsserie Fairy Tail und haben bereits zwei Alben bei dem Major Label PONY CANYON herausgegeben - auch hier: mediale Präsenz.

Nostalgie an einem anderen Ort

Zu einem anderen Event, der am gleichen Tag in Tokyo abgehalten wurde, fand sich hingegen eine Crowd ein, die ich als "nostalgia crowd" bezeichnen würde. Bei Inokis Superstars Festival gaben sich Größen vergangener Tage die Klinke in die Hand und sorgten somit für eine Besucherzahl von etwa 11.000 Zuschauern. Diese Zahl ist laut Berichten auch durchaus glaubwürdig – und sie verwundert nicht. Hier trifft die Aussage von Meltzer deutlicher zu als es bei All Together der Fall war. Im Fokus des Interesses standen zwei Männer, die sich vor 10 Jahren in einem MMA-Kampf gegenüberstehen sollten: Jerome Le Banner und Kazuyuki Fujita. Im Semi-Main Event stand mit Peter Aerts der K-1 World Grand Prix Champion der Jahre 1994, 1995 und 1998. Außerdem traf der 40 jährige Kickboxer Ray Sefo auf den ebenfalls einst für K-1 aktiven Montanha Silva. Zudem aktiv: Masahiro Chono, Naoya Ogawa, Tatsumi Fujinami, Mil Mascaras, außerdem tauchten Tiger Jeet Singh und Abdullah The Butcher auf. Das, liebe Leser, ist Nostalgie. Nichts weiter.

Nachdem ich Inoki in einer vorigen Kolumne mit sehr harschen Worten bedachte und auch generell nicht gut auf ihn zu sprechen bin, muss ich nun ein wenig zurück rudern. Zwei große Benefiz-Shows an einem Tag in Tokyo zu veranstalten hat funktioniert, insgesamt kamen zu beiden Shows rund 28.000 Fans. Dies funktionierte, weil Inokis Show nicht die gleichen Fans ansprach wie es All Together tat. New Japan, All Japan und NOAH sprachen Pro-Wrestling Fans an, natürlich auch solche, die nur aus Gründen der Nostalgie kamen, doch gerade Inoki lockte mit seiner Veranstaltung Fans, die zu den großen Zeiten von PRIDE und K-1 dem Hype der beiden Marktführer im Kampfsport erlegen waren und die insbesondere in den 80ern Puroresu verfolgten.

Einen Mantel des Schweigens sollte man indes über die Qualität des Superstars Festivals, wie auch über IGF Genome17 nur wenige Tage später hüllen. Durch die Einbeziehung von weiteren Kickboxern ist die ohnehin schon schwache Matchqualität und die oftmals unverständliche Matchführung noch um einiges schlimmer geworden. So schlimm, dass ich überzeugt bin, dass niemand zu einer IGF Show kommen würde, wenn Inoki nicht diese großen Namen versammeln würde.