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Eastern Lariat #3: All Together - Event der Superlative oder Durcheinander?

Kolumne

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Published on:
23.08.2011, 17:40 
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Am 11.03.2011 befand sich eine kleine Gruppe von Pro-Wrestling NOAH bestehend aus Präsident Ryu Nakata, Go Shiozaki, Kotaro Suzuki sowie ein Konsortium von Big Japan Pro-Wrestling, namentlich Daisuke Sekimoto, Yoshihito Sasaki und Lee Nikkan in Deutschland, um am 16 Carat Gold Tournament von Westside Xtreme Wrestling teilzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch keiner der Japaner, was sich an diesem Tag in ihrem Heimatland ereignen sollte. Die schrecklichen Erdbeben mit bislang noch immer nicht abzusehenden Folgen erschütterten das Land in seinen Grundfesten, weshalb Ryu Nakata am zweiten Tag des 16 Carat Gold während der Questions & Answers Runde zum Mikrofon griff und den anwesenden Fans mitteilte, dass er mit seiner Tochter Kontakt hatte und diese ihm mitteilte, dass er so viel Nahrung wie möglich mit nach Japan bringen sollte, weil nicht absehbar war, ob in den Tagen, die auf das Erdbeben folgen sollten, essbares zu beschaffen sein würde. Trotz der schrecklichen Nachrichten aus ihrem Heimatland bestritten die japanischen Wrestler hochprofessionell ihre Kämpfe an diesem Wochenende, während in Japan eine Vielzahl von Shows abgesagt wurden. All Japan Pro Wrestling sagte die restlichen Shows der Hold Out Tour, die im Nordosten Japans stattfinden sollte, ab, veranstaltete aber am 21.03. in der Tokyo Ryogoku Kokugikan Hall, während Dragon Gate seine Show am Vortag in der gleichen Halle absagte.

Schnell war klar: Das japanische Wrestling hatte wie die gesamte Bevölkerung Japans eine Verantwortung gegenüber den Opfern der Katastrophen. Und schnell war auch klar, dass dies am besten auf dem Wege einer Benefiz-Show stattfinden konnte. Schon in unmittelbarer Nähe zu den Ereignissen gab es einige Benefiz-Shows, doch die Show, die All Japan, New Japan Pro Wrestling und NOAH zu planen begannen, sollte das größte Spektakel seit 1979 werden, als Antonio Inoki und Giant Baba Abdullah The Butcher & Tiger Jeet Singh besiegten. Und Fans ersonnen schnell Traumpaarungen, die man sonst nicht zu Gesicht bekommt. Die Frage nun: Hält die Card, was sie verspricht?

Multi-Man Matches? Selbstredend!

Bereits bei Verkündung der Show wurde erwähnt, dass so viele Wrestler wie möglich auf der Card stehen sollen, um zu symbolisieren, dass das Puroresu geschlossen hinter diesem Projekt steht. Fans, die daher für diese Show große Singles Matches zwischen Wrestlern verschiedener Promotions erwartet hatten, warteten vergebens. Sicherlich sind Matches etwa zwischen Wrestlern von New Japan und NOAH immer reizvoll, doch bis ein Singles Match etwa zwischen Go Shiozaki und Hiroshi Tanahashi auf die Beine gestellt ist, vergeht nicht nur viel Zeit, sondern es bedarf auch vieler politischer Entscheidungen. Natürlich ist jede Liga daran interessiert, dass der Wrestler ihrer Promotion in dem Match so gut wie möglich aussieht und im besten Falle natürlich siegreich ist. Idealerweise gibt es am gleichen Abend ein zweites "Interpromotional Match", um ein ausgeglichenes Sieg/Niederlage Verhältnis herzustellen. Man sieht also, dass Singles Matches eine hochkomplexe Angelegenheit sind und eine so tiefe Dimension haben, dass man sie bei dieser Show herausgelassen hat. Schließlich geht es hier um den guten Zweck und falls man sich nicht einig geworden wäre, hätte dies vielleicht die gesamte Show gefährdet.

Natürlich ist es aber ein Punkt, dass insgesamt 82 Wrestler auf 10 Matches verteilt sind, davon freilich 26 auf eine Battle Royal. Als Fan verliert man bei dieser schier unglaublichen Anzahl von Aktiven leicht den Überblick, bis zum letzten Wochenende etwa wusste ich nicht einmal, dass Zack Sabre Jr. An dieser Show teilnimmt. Ich hatte ihn schlichtweg übersehen. Zudem ist es zugegebenermaßen so, dass gerade die ersten sechs Matches des Abends zusammengewürfelt erscheinen. Das ist aber nur so, wenn man nur die Matches als solche betrachtet und die dazugehörigen Themen unbeachtet lässt. So steht etwa das Match Prince Devitt, Ryusuke Taguchi, Kotaro Suzuki, Katsuhiko Nakajima & KAI vs. Koji Kanemoto, KENTA, Yoshinobu Kanemaru, Minoru & Genba Hirayanagi unter dem Thema "Junior One Night Carnival". Durch diese Bezeichnung erhält das vermeintlich sinnfreie Match eine ganz andere Bedeutung und steht gewissermaßen stellvertretend für die Idee dieser Show: So viele Wrestler wie möglich unterbringen, dabei Paarungen ersinnen, die Fans an anderen Tagen niemals sehen würden und mithilfe dieses Karnevals der Wrestler erhält das Match ein Thema, an dem man sich als Fan trotz der vielen Beteiligten orientieren kann.

Deutlich interessanter dürften aber die die letzten 4 Matches der Show sein. Bei "Midsummer Encounter in Budokan" stehen auf der einen Seite das schwergewichtige Team bestehend aus Takeshi Morishima, Akebono, Yutaka Yoshie und dem hoch sympathischen Ryota Hama. Deutlich interessanter aber ist das zweite Team, denn mit Yuji Nagata (Debüt 1992), Hiroyoshi Tenzan (1991) und Osamu Nishimura (1991) teamen drei Debütanten des New Japan Dojos der frühen Neunziger Jahre gegen die Schwergewichte. Eigentlich sollte Satoshi Kojima, der am 16.07.1991 gegen einen gewissen Hiroyoshi Yamamoto, Tenzans bürgerlicher Name, debütierte, an diesem Match teilnehmen, doch Kojima zog sich bei seinem letzten Gruppenmatch im G1 Climax 2011 eine Fraktur der rechten Augenhöhle zu. Dies in einem Match gegen – ausgerechnet – Hiroyoshi Tenzan. Ersatz für Kojima ist – leider wenig passend – Wataru Inoue.

Im nächsten Match des Abends werden es Kensuke Sasaki und Jun Akiyama mit Yoshihiro Takayama und Takao Omori zu tun bekommen – bis auf Sasaki debütierten alle 1992. "No Fear! Go ahead!!" dürfte auch hier eine passende Beschreibung dessen sein, was man sich von diesem Match erwarten darf. Auch wenn die vier Mannen mittlerweile deutlich in die Jahre gekommen sind, haben sie immer wieder bewiesen, dass sie doch immer wieder in der Lage sind, die Zuschauer durch beherzte Leistungen zu überzeugen. Ferner steht in diesem Match das Duell der Strikes – die Lariat von Sasaki und der Axe Bomber von Omori – sowie der Suplessen – Takayamas German Suplex und Akiyamas Exploder – auf dem Programm.

Unter der Thematik "Believe the Power of Pro-Wrestling" kommt es wahrlich zu einem Traum Tag Team. Kenta Kobashi, erst im Juli nach gut 1 1/2 Jahren verletzungsbedingter Pause in den Ring zurückgekehrt, wird an der Seite von Keiji Muto stehen. Pikant an diesem Gespann ist, dass mit Muto der nunmehr ehemalige Präsident von All Japan mit dem Aushängeschild der von All Japan abgespaltenen Liga Pro Wrestling NOAH ein Team bilden wird. Zwar hat sich das Verhältnis zwischen All Japan und NOAH über die Jahre entspannt, doch auch diese Paarung verdeutlicht: An diesem Abend spielen politische Elemente keine Rolle. Ihre Gegner Toru Yano und Takashi Iizuka sind alles andere als ein Dream-Team, aber versiert im Heel-Work und so dürften die Sympathien, anders als im vorherigen Match, deutlich auf Seiten der Legenden liegen.

"All together now!" heißt es im Main Event. Auch hier könnte es kaum einen passenderen Titel geben, denn die Champions der drei beteiligten Ligen, Hiroshi Tanahashi, Go Shiozaki und Suwama bilden ein Team. Fünf Gürtel auf der einen, mit Shinsuke Nakamura und Takashi Sugiura zwei ehemalige Champions auf der anderen Seite – und KENSO. Dieses Six Man Tag Team Match ist, klammert man KENSO aus, auf alle Fälle eine traumhafte Begegnung, das werden sicherlich auch Kritiker des Show-Konzeptes anerkennen. Im Falle der Vertreter von New Japan stehen sich die beiden Wrestler gegenüber, die im September ihrer großartigen Matchreihe ein weiteres hinzuzufügen gedenken, während Takashi Sugiura mit Go Shiozaki dem Mann begegnen wird, der ihn um den GHC Heavyweight Titel erleichterte. Einzig die Vertreter All Japans passen nicht so ganz zusammen, das bleibt der einzige Wermutstropfen dieser Paarung.

Stellt "All Together" nun eine Card der Superlative dar oder ist es doch eher ein unübersichtliches Unterfangen, bei dem der Satz "Weniger ist manchmal mehr" zum Tragen kommen wird? Wie gesehen gibt es für beide Seiten Argumente, ich hoffe hier aber ein anderes, ein positives Bild dieser Veranstaltung gezeichnet zu haben. Ohne jeden Zweifel werden einige Kämpfe wenig beeindrucken, doch andere haben demgegenüber das Potential, die Wrestling-Fans zu verzücken. Letztendlich entscheidend ist für mich der Fakt, dass es sich bei diesem Event um eine Benefiz-Veranstaltung handelt. Den zahlenden Zuschauern wird für ihr Geld das größtmögliche Paket geboten und anhand dieser Card kann kein Fan sagen, es sei für ihn nichts dabei, um gegen einen Besuch von "All Together" zu argumentieren. Ich bin vollends überzeugt, dass die Zuschauer in der Halle wie vor den Fernsehern dieses Spektakel genießen werden und anschließend von einigen großen Momenten des Puroresu zu berichten wissen.

Alle zusammen heißt: Ohne Inoki

Eine Angelegenheit will aber noch betrachtet werden: Die Abwesenheit von Japans Wrestling-Legende schlechthin Antonio Inoki. Natürlich wird Inoki noch immer von vielen Wrestling-Fans ins Japan verehrt und ist nach wie vor der bekannteste Name, den das Puroresu jemals hervorgebracht hat – auch wenn man kein Wrestling-Fan ist, kennt man als Japaner den Namen Antonio Inoki. Inoki gründete im Jahr 1972 New Japan Pro Wrestling mit dem Leitspruch "King of Sports". Dies nahm Inoki durchaus wörtlich, denn in den 70er Jahren bestritt er einige Kämpfe gegen Gegner aus anderen Kampfsportdisziplinen, unter anderem am 26.06.1976 gegen Muhammed Ali. Als der Gründer New Japans in ein höheres Alter kam, waren Kämpfe im Mixed-Martial-Arts keine Option mehr und so durften oder mussten – je nachdem, wie man es betrachten möchte – stellvertretend für Inoki und den Strong Style Wrestler von New Japan gegen Gegner aus dem MMA-Sport antreten. Darüber hinaus wurden 2003 zwei Shows unter dem Banner "Ultimate Crush" abgehalten, ein leicht modifiziertes MMA-Regelwerk, für das einige bekannte Gesichter aus dem MMA gewonnen und auch viele Zuschauer angezogen werden konnten. Die Auftritte der allermeisten New Japan Wrestler im MMA-Ring endeten aber in einem Fiasko: Weder Yuji Nagata, Toru Yano, Jushin Thunder Liger noch Blue Wolf gewannen ihre MMA-Kämpfe, einzig Shinsuke Nakamura war erfolgreich.

Zu sagen, dass Inoki seine eigene Kreation beinahe zu Grabe getragen hätte, ist sicherlich zu radikal formuliert, doch sein MMA-Wahn untergrub die Glaubwürdigkeit von New Japan Pro Wrestling und zeigte dem Mainstream Publikum, dass nicht New Japan, sondern das MMA der "King of Sports" ist. Natürlich haben die Erfolge von Shinsuke Nakamura gezeigt, dass auch Wrestler im MMA erfolgreich sein können, doch seit den Zeiten von Inoki hatte sich im Kampfsport einiges verändert. Das Training wurde deutlich intensiver, ein Kämpfer musste verschiedenste Disziplinen beherrschen, um erfolgreich zu sein und nicht zuletzt verhindert der Terminplan eines Wrestlers ein sinnvolles MMA-Trainingslager.

2005 übernahm die Firma Yuke's, die unter anderem die WWE-Videospiele produziert, 51,5 % von New Japan, womit Inokis Einfluss dahin war. Inoki verließ die Liga und gründete 2007 die Inoki Genome Federation.

Bei dieser Liga sollte es zur großen Kontroverse um den IWGP Heavyweight Titel kommen. Brock Lesnar wurde der IWGP Heavyeight Titel aberkannt, offiziell wegen Visa-Problemen, doch viel eher deshalb, weil er sich weigerte, den Titel clean abzugeben. Außerdem weigerte sich er, den Gürtel zurückzugeben, weshalb New Japan einen neuen Titel herstellen ließ. Inoki witterte seine Chance, nach dem Verlust der Macht über New Japan zumindest wieder die Kontrolle über "seinen" IWGP Championship zu erhalten. Er kontaktiere Lesnar und veranstaltete tatsächlich ein IWGP Heavyweight Titel Match bei seiner neuen Liga, obwohl New Japan sämtliche Rechte an der Bezeichnung IWGP hält. Lesnar verlor den Titel an Kurt Angle, der daraufhin auch bei Total Nonstop Action Wrestling als Double Champ (IWGP & NWA) angekündigt wurde. Glücklicherweise existiert eine Zusammenarbeit zwischen New Japan und TNA, weshalb Angle den IWGP Heavyweight Titel nach "Inoki Version" am 17.02.2008 an Shinsuke Nakamura verlor. Somit war ein wenig rühmliches Kapitel in der Geschichte zwischen New Japan und Antonio Inoki geschrieben, das das Verhältnis beider Seiten nachhaltig negativ beeinflussen sollte und Inokis Ansehen innerhalb der Puroresu-Gemeinde erheblichen Schaden zufügte.

Aus den genannten Gründen wird Inoki nicht bei "All Together" auftreten, aber am gleichen Tag ebenfalls in Tokyo eine Show abhalten, bei der vor allem ehemalige MMA-Stars auftreten werden, durch die Inoki hofft, die Massen begeistern zu können. Einige Tausend Fans dürften, wie auch zu Inokis sonstigen Shows, den Weg in die Halle finden. Inokis Worte, dass Konkurrenz das Geschäft belebe, erscheinen angesichts der Tatsache, dass beide Shows Benefizveranstaltungen sein werden, äußerst befremdlich und kaschieren nur wenig, dass Inoki seinen geschwundenen Einfluss im japanischen Wrestling nicht verwunden hat.

Somit wird das Puroresu am 27. August ein bisher nicht da gewesenes Fest feiern, während wenige Kilometer weiter MMA-Größen vergangener Tage in einen Wrestling-Ring steigen werden.