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Eastern Lariat #1: Die Nummer 1 in Japan?

Kolumne

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Published on:
06.07.2011, 17:57 
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Ich habe in den vergangenen Monaten schon häufiger darüber nachgedacht, eine Kolumne über das japanische Wrestling zu verfassen, war mir aber längere Zeit nicht sicher, in welcher Form dies geschehen sollte. Nun habe einen Versuch gewagt, ein solches Projekt zu starten.

Eins vorneweg: Das Konzept dieser Kolumne sieht zunächst nicht vor, dass wöchentliche Betrachtungen über das Puroresu erscheinen. Vielmehr soll in unregelmäßigen Abständen, und zwar immer dann, wann es sich anbietet, ein Blick nach Japan gewagt werden. Zwei Punkte sind hierfür ausschlaggebend: Zunächst existiert eine Sprachbarriere. Ich selbst spreche kein japanisch, sondern nutze seit Jahren Übersetzungshilfen aus dem Internet, um Ergebnisse und Neuigkeiten einzudeutschen, was oftmals keine leichte Aufgabe ist. Der zweite Punkt ist, dass im Gegensatz zum amerikanischen Wrestling so gut wie kein Bruch des Kayfabes erfolgt, sodass man bei Neuigkeiten oft zwischen den Zeilen lesen muss, um etwaige Entwicklungen hinter den Kulissen zu bemerken.

Dennoch: Das Puroresu, das Ring-Produkt selbst, sollte genügend Potential bieten, um die ein oder andere Kolumne möglich zu machen.


Thematisch möchte ich die erste Ausgabe von "Eastern Lariat" mit einer Frage beginnen, die in der letzten Zeit immer wieder – sowohl in Foren, als auch gegenüber mir persönlich – geäußert wurde: "Wer ist eigentlich die Nummer Eins in Japan?" Mir ist bewusst, dass Fans des Puroresu einige der nun folgenden Erläuterungen bereits schon hier und dort gelesen haben werden, aber sie sind zur Beantwortung der Frage notwendig:

Shin Nihon ~ King of Sports

Unangefochtener Marktführer ist seit einigen Jahren New Japan Pro Wrestling. Nach einem Tief zu Beginn des Jahrtausends, als der Promotion die Rolle als Marktführer zu entgleiten schien, schaffte New Japan es, sich von Antonio Inoki zu emanzipieren und somit dem Konzept des Shoot-Wrestlings zu entsagen, das insbesondere zu Zeiten, als PRIDE FC noch existent war, wenig glaubwürdig war. Seitdem wurden sukzessive neue Stars aufgebaut, die bekanntesten Namen sind Hiroshi Tanahashi und Shinsuke Nakamura. Angesichts der Strahlkraft dieser beiden erscheinen Namen wie Hirooki Goto, Togi Makabe oder Tetsuya Naito vergleichsweise "schwach", doch auch sie haben ihre Zugkraft bereits unter Beweis gestellt bzw. haben das Potential, dies zu tun. Kurzum: New Japan hat ein sehr starkes Ausbildungssystem, das vermutlich stärkste weltweit, denn es ist seit Jahrzehnten die Regel, dass Jahr für Jahr einige Rohdiamanten das New Japan Dojo verlassen, um durch Ringpraxis geschliffen zu werden.

Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist der, dass New Japan Pro Wrestling durch die gestiegene Zahl an Gaikokujins (Ausländer) im Vergleich zu anderen japanischen Ligen immer größere internationale Anerkennung findet. Mittlerweile steigen Giant Bernard, Karl Anderson, Prince Devitt, MVP, Tama Tonga und King Fale regelmäßig in den Ring des Marktführers und auch Auftritte von Davey Richards oder Kenny Omega sind keine Seltenheit. Gemeinsam mit Dragon Gate hat New Japan hier eindeutig die Nase vorn, nach Dragon Gate war New Japan die zweite japanische Liga, die es wagte, Live-Shows in den USA abzuhalten. Bei der Tour im Mai dieses Jahres an der Ostküste der Vereinigten Staaten wurde gar der IWGP Intercontinental Titel eingeführt, erster Champion wurde MVP.

Die großen drei? Mitnichten!

Warum aber findet Dragon Gate noch vor All Japan Pro Wrestling und Pro Wrestling NOAH Erwähnung? Dragon Gate ist im japanischen Fernsehen zwar nicht so stark vertreten wie die beiden vermeintlich größeren Ligen, doch auch Dragon Gate hat mit Infinity, eine TV Show und fünf jährliche Pay Per Views, die oft von 7.000 bis 10.000 Zuschauern besucht werden. All Japan etwa hatte 2010 zwei PPVs, NOAH einen. Auch die Live-Shows von Dragon Gate sind, setzt man voraus, dass jede japanische Liga ein wenig die Zuschauerzahlen schönt, oftmals genauso gut, wenn nicht besser besucht als die von All Japan und NOAH. Wie kam es zu diesem Effekt, der von einigen Fans vielleicht als Verschiebung wahrgenommen wird?

Zwei Dinge, die auch in der Vergangenheit immer mal wieder angesprochen wurden, sind besonders zu berücksichtigen:

All Japan hatte nach dem NOAH-Split des Jahres 2000, als fast alle Wrestler die Liga verließen, einen steinigen Weg vor sich und erholte sich erst in den letzten 2 – 3 Jahren von dem immensen Verlust an Zugpferden. Wie die Liga die Krise, die sich im Mai dieses Jahres zutrug, als Nobukazu Hirai offenbar in Folge einer Backstage-Auseinandersetzung eine Hirnblutung erlitt, verwinden wird, kann derzeit noch nicht prognostiziert werden. Drei der vier ausgesprochenen Suspendierungen wurden jedenfalls Aufgehoben und die Zeit der negativen Nachrichten scheint vorbei zu sein. (Zum Thema Nobukazu Hirai empfehle ich die Newsmeldungen ab dem 31.05.2011)

Ebenfalls mit Problemen kämpft Pro Wrestling NOAH. Mitte des letzten Jahrzehnts war die Promotion drauf und dran, New Japan den Rang abzulaufen, 2004 und 2005 gab es gar zwei großartige Tokyo Dome Shows, doch schon die Herren in den drei letzten Matches bei "Destiny 2005" verdeutlichen das Problem: Genichiro Tenryu, Kenta Kobashi, Toshiaki Kawada und der mittlerweile verstorbene Mitsuharu Misawa sind bzw. waren allesamt Namen, die über Jahre hinweg tausende Karten verkaufen konnten, doch außer Misawa und Kobashi war keiner der Genannten ein Regular der Liga sie hatten bereits 2005 ihr Zenit schon weit überschritten. Es wurde schon oft als das entscheidende Defizit der Liga ausgemacht, dass NOAH im krassen Gegensatz zu New Japan, Dragon Gate und All Japan schlichtweg kein funktionierendes Nachwuchssystem herausgebildet hat. Dazu kommt ein Defizit, welches die Liga niemals ablegen konnte: Es gibt kaum Storylines und immer wieder andere Zusammenstellungen von Tag Teams, die teilweise ausgewürfelt erscheinen.

Dragon Gate wird von vielen Betrachtern in Deutschland kritisch gesehen, es wird als zu spotlastig angesehen und teils als "Popcorn Wrestling" bezeichnet. Man kann Dragon Gate zweifelsohne kritisch gegenüber stehen und auch meiner Ansicht nach ist das Produkt nicht mehr so gut wie noch vor einigen Jahren, doch Dragon Gate verstand es immer, neue Gesichter an der Spitze zu etablieren. Ob Masato Yoshino, Naruki Doi, Shingo Takagi, YAMATO oder BxB Hulk, all diese Wrestler schafften es in den letzten Jahren an die Spitze der Liga. Dazu kommt, dass Dragon Gate als Produkt ganz einfach bunt und schnell ist. Das Wrestling ist größtenteils spektakulär und nicht selten sieht man in den Matches einen Move- oder auch Near Fall-Overkill, doch offensichtlich kommt diese Form der Unterhaltung in Japan bestens an und ich bin ehrlich: Ich sehe mir lieber eine Dragon Gate Show an als eine NOAH Show, die lediglich aus oft sinnfreien Multiman Matches besteht.

Im Blickfeld

Und sonst? Promotions wie Big Japan Pro-Wrestling oder Dramatic Dream Team haben in den zurückliegenden Jahren immer weiter auf sich aufmerksam gemacht und partizipieren immer stärker am japanischen Wrestling-Markt und auch neue Projekte wie SMASH waren in den vergangenen Monaten erfolgreich. Dazu kommen in Japan ebenso wie in den USA natürlich eine Reihe von regional veranstaltenden Ligen wie Michinoku Pro Wrestling, Osaka Pro Wrestling oder Kaientai Dojo.

Über das Wrestling allgemein muss jedoch gesagt werden, dass die sogenannten "fetten Jahre" seit längerer Zeit vorbei sind. Doch eines sollte dem Pro-Wrestling in Japan Mut machen: Der langjährige Nemesis des Wrestlings mit Namen Mixed-Martial-Arts ist seit dem Aufkauf von PRIDE FC durch die UFC auf dem absteigenden Ast. Die Nachfolgeorganisation DREAM und auch K-1 verlieren immer weiter an Marktanteilen und die Krise des japanischen MMA könnte sich noch verschärfen, denn zuletzt kündigte die UFC die erste Show in Japan für 2012 an. Gelingt es dem Wrestling, Fans zu gewinnen, die sich aufgrund des schleichenden, aber nicht zu leugnenden Qualitätsverlust vom MMA abwenden, ist es in meinen Augen durchaus möglich, sich wieder eine breitere Fanbasis zu schaffen.

Dies war die erste Ausgabe von "Eastern Lariat". Ich würde mich über Feedback freuen und hoffe, ihr habt diesen "Protoypen" mit Interesse gelesen.